In Nordrhein-Westfalen leben mehr als 1,2 Millionen Menschen mit türkischer Herkunft - das ist mehr als in jedem anderen Bundesland. Doch wo genau konzentrieren sich diese Gemeinschaften? Die Antwort überrascht nicht alle: Es sind nicht nur die großen Städte wie Köln, Duisburg oder Dortmund, sondern auch kleinere Städte mit hohen Anteilen an türkischstämmigen Einwohnern. Eine davon ist Oer-Erkenschwick.
Oer-Erkenschwick, ein Stadtteil von Recklinghausen, zählt zu den Orten mit dem höchsten türkischen Bevölkerungsanteil in ganz NRW. Rund 40 Prozent der Einwohner haben einen türkischen Migrationshintergrund. Das ist mehr als in vielen Stadtteilen von Köln oder Düsseldorf. Warum genau hier? Die Antwort liegt in der Geschichte.
In den 1960er und 1970er Jahren kamen viele türkische Gastarbeiter nach Deutschland - und viele von ihnen landeten in den Industriegebieten des Ruhrgebiets. Die Steinkohlebergwerke, Stahlwerke und Fabriken brauchten Arbeitskräfte. Oer-Erkenschwick hatte damals noch viele kleine Betriebe, die leicht Zugang zu Arbeitsplätzen boten. Die ersten türkischen Familien zogen hierher, fanden Unterkunft, bauten ein Leben auf. Und mit der Zeit kamen immer mehr Nachzügler: Ehepartner, Kinder, Eltern. Heute ist Oer-Erkenschwick kein Ort, an dem Türken leben - sondern ein Ort, an dem türkische Kultur Teil des Alltags ist.
Anders als in Großstädten, wo türkische Gemeinschaften oft in bestimmten Vierteln leben, ist die Integration in Oer-Erkenschwick flächendeckend. Türkische Geschäfte, Bäckereien, Metzgereien und Cafés stehen neben deutschen Läden. Die Grundschule hat einen türkisch-deutschen Sprachförderkurs. Der Verein für Kultur und Integration organisiert jedes Jahr ein Fest mit türkischer Musik, Essen und Tanz - und viele deutsche Nachbarn kommen dazu. Es gibt kein „türkisches Viertel“ - es gibt einfach ein türkisches Oer-Erkenschwick.
Die türkische Gemeinschaft hat auch die lokale Politik geprägt. Seit Jahren sitzen türkischstämmige Bürger im Stadtrat. Einer davon ist der ehemalige Bürgermeister, der als erster mit türkischem Migrationshintergrund in NRW ein Amt wie dieses bekleidete. Seine Wahl war kein Zufall - sie war das Ergebnis von Jahrzehnten des Engagements, der Teilhabe, der Toleranz.
Oer-Erkenschwick ist nicht der einzige Ort mit hohem Anteil. Hier sind die fünf Orte in NRW mit den höchsten türkischen Bevölkerungsanteilen - basierend auf den neuesten Daten des Landesamtes für Statistik NRW (Stand 2025):
Interessant: In allen diesen Orten ist der Anteil der türkischstämmigen Bevölkerung in den letzten 10 Jahren stabil geblieben - oder sogar leicht gestiegen. Das zeigt: Es geht nicht nur um Zuwanderung, sondern um Ansiedlung. Viele Kinder und Enkel der ersten Gastarbeiter leben hier - sie sind deutsche Staatsbürger, sprechen Deutsch als Muttersprache, aber sie verbinden sich mit der türkischen Kultur.
Köln hat mehr Türken in absoluten Zahlen - fast 150.000. Dortmund hat über 80.000. Aber in Prozenten? Da verlieren sie gegen kleine Städte wie Oer-Erkenschwick. Warum? Weil die Großstädte viel größer sind, viel mehr Einwohner haben - auch viele Deutsche ohne Migrationshintergrund. In Oer-Erkenschwick leben nur 28.000 Menschen. Wenn 11.000 davon türkischstämmig sind, dann ist der Anteil riesig.
Es ist wie bei einem Glas Wasser: In einem Eimer mit 100 Litern Wasser sind 10 Liter Salzwasser - das ist 10 %. In einem Glas mit 1 Liter Wasser sind 400 Milliliter Salzwasser - das ist 40 %. Beide haben Salz, aber das Glas ist viel konzentrierter.
Frau Ayşe Yılmaz, 58, lebt seit 1978 in Oer-Erkenschwick. Sie kam mit 17 Jahren aus Sivas, Türkei. „Ich dachte, ich komme für zwei Jahre“, sagt sie. „Dann hat mein Mann Arbeit gefunden, wir haben Kinder bekommen, das Haus gekauft. Und plötzlich war es unser Zuhause.“
Sie arbeitet heute in der örtlichen Bibliothek, spricht fließend Deutsch, aber sie kocht immer noch jeden Sonntag Hünkar Beğendi. Ihre Tochter ist Lehrerin, ihr Sohn Architekt. Beide haben deutsche Pässe. „Wir sind Türken, aber wir sind auch hier“, sagt sie. „Wir haben nie aufgehört, unsere Kultur zu leben - aber wir haben nie aufgehört, Teil von hier zu sein.“
Das ist der Schlüssel: Es geht nicht um Assimilation, sondern um Integration. Die türkische Gemeinschaft in Oer-Erkenschwick hat nicht versucht, sich zu verstecken. Sie hat sich eingebracht. Sie hat Geschäfte eröffnet, Vereine gegründet, sich in der Schule engagiert. Und die deutsche Bevölkerung hat das akzeptiert - und oft sogar gefeiert.
Die nächste Generation wächst mit zwei Kulturen auf. Viele junge Leute in Oer-Erkenschwick sprechen Türkisch zu Hause, Deutsch in der Schule und Englisch mit Freunden. Sie hören Hip-Hop, aber auch arabeske Musik. Sie essen Döner - aber auch Kartoffelsalat mit Würstchen. Sie identifizieren sich als „Deutsch-Türken“ - kein Entweder-Oder, sondern ein Und.
Die Stadtverwaltung arbeitet jetzt an einem neuen Projekt: „Zweisprachige Kindertagesstätten“. In diesen Kitas wird gleichzeitig Deutsch und Türkisch gesprochen. Die Eltern - ob türkisch oder deutsch - sind willkommen. Es geht nicht darum, eine Sprache zu ersetzen. Es geht darum, beide zu bewahren.
Andere Städte in NRW schauen jetzt auf Oer-Erkenschwick. Wie schaffen sie es, so viele Menschen aus einer Kultur so gut zu integrieren? Die Antwort ist einfach: Mit Respekt. Mit Zeit. Mit Gemeinschaft.
Deutschland hat eine lange Geschichte der Zuwanderung. Viele Orte haben versucht, sie zu ignorieren. Oer-Erkenschwick hat sie angenommen. Und jetzt ist es ein Vorbild. Es zeigt: Integration funktioniert nicht durch Gesetze, sondern durch Alltag. Durch Nachbarn, die sich grüßen. Durch Kinder, die zusammen spielen. Durch Bäckereien, die Kuchen und Baklava verkaufen.
Wenn du wissen willst, wie türkische Kultur in Deutschland lebt - dann geh nach Oer-Erkenschwick. Nicht als Tourist. Sondern als Mensch, der sich interessiert. Geh in den Supermarkt, trink einen Kaffee, frag jemanden, wie sein Tag war. Du wirst sehen: Es ist nicht anders als bei dir. Nur mit mehr Gewürzen.
Nach den neuesten Daten von 2025 leben in Nordrhein-Westfalen etwa 1,24 Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Das entspricht rund 7,1 % der gesamten Bevölkerung des Bundeslandes. Damit ist NRW das Bundesland mit den meisten Türken in Deutschland.
In den 1960er und 70er Jahren wurden viele türkische Gastarbeiter in die Industrie des Ruhrgebiets eingeladen. Oer-Erkenschwick hatte damals viele kleine Fabriken und Bergwerke, die Arbeitsplätze boten. Die ersten Familien blieben, holten Verwandte nach und bauten ein Leben auf. Mit der Zeit wuchs die Gemeinschaft - und heute ist fast jeder vierte Einwohner türkischstämmig.
Nein. Die meisten jüngeren Menschen sprechen Deutsch als ihre Hauptsprache. Türkisch wird oft zu Hause gesprochen, besonders von den Eltern und Großeltern. Viele Kinder sind zweisprachig - sie lernen Türkisch in der Familie und Deutsch in der Schule. Die Stadt fördert sogar bilingualen Unterricht in Kitas.
Nein, es gibt keine rein türkischen Schulen. Aber viele Grundschulen bieten türkisch-deutsche Sprachförderprogramme an. Außerdem gibt es Nachhilfeangebote und Kurse für Eltern, die ihre Kinder beim Lernen unterstützen wollen. Die Integration erfolgt über die öffentlichen Schulen - und das funktioniert gut.
Ja. Oer-Erkenschwick zählt zu den sichersten Stadtteilen im Ruhrgebiet. Die Kriminalitätsrate liegt unter dem Landesdurchschnitt. Die Infrastruktur ist gut: Schulen, Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten und öffentliche Verkehrsmittel sind vorhanden. Die hohe Integration und das starke Gemeinschaftsgefühl machen es zu einem lebenswerten Ort für alle.
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