Verein für Orts- und Heimatkunde
Oer-Erkenschwick
Am 05. November 1920 wurde der Verein für
Orts- und Heimatkunde gegründet und gilt seit dem als eine Säule
kultureller Arbeit im Bereich Oer-Erkenschwicks. Was waren die
Triebkräfte, die zur Gründung des
Ortsvereins Oer, im Verband der Vereine für Orts- und Heimatkunde
im Vest Recklinghausen führten.
von Hans Georg Kollmann (1989)
Ein Blick auf
die Situation der Gründungsjahre läßt erkennen, daß dies eine
Zeit der Veränderungen und des Umbruchs war. Der Schmelztiegel
Ruhrgebiet förderte eine stärkere Durchmischung der Bevölkerung
und forderte größere Mobilität von ihr. Althergebrachte,
überlieferte - vor allem bäuerliche - Lebensformen gingen
verloren. Heimatvereine gründeten sich, als das traditionelle
Brauchtum nicht mehr selbstverständlich ausgeübt wurde. So kam
es in der Stadt Recklinghausen schon Jahrzehnte vorher zur
Gründung des Heimatvereins. In Oer, wo sich bäuerlich-ländliche
Lebensweise länger halten konnte, kam es dann nach dem Ersten
Weltkrieg zur Vereinsgründung. Die Initiative dazu hatte der
1912 aus dem hessischen Haimbach (bei Fulda) kommende Lehrer
Karl Kollmann ergriffen. Er selbst empfand den Heimatverlust
tief und zeigte früh Sensibilität für die Notwendigkeit der
Traditionspflege angesichts des Schwindens bäuerlichen
Kulturgutes. Mit dem Gedanken, den Menschen im Dorf diese
Situation bewußt zu machen und mit der Vermittlung der Einsicht,
daß das Brauchtum ein wertvoller Besitz sei, waren die Weichen
für die künftige Heimatarbeit gestellt. Die Zielsetzung
Heimatpflege erwuchs aus einer engen Zusammenarbeit mit dem
Gründer des Westfälischen Heimatbundes, Karl Wagenfeld. Karl
Kollmann verstand sie so: Erziehung zu Heimatbewußtsein und
Heimatliebe durch Heimatgeschichte und Heimaterleben.
In der richtungsweisenden praktischen
Arbeitsplanung zeichneten sich vier Schwerpunkte ab: Bewahren
von Tradition, Beobachtung von Entwicklungen, Angebote von
Informationen, Erwandern und Erfahren des Heimatraumes. Unter
diesen Aspekten sollen Arbeit und Bedeutung des Vereins für
Orts- und Heimatkunde im Laufe der Jahrzehnte dargestellt
werden.
1. Bewahren
Mit einem zunehmenden
Industrialisierungsprozeß und mit einer Überfremdung der
einheimischen Bevölkerung auch im dörflichen Bereich ging das
Schwinden des Brauchtums einher. Der Verein für Orts- und
Heimatkunde stellte sich in Verbindung mit der volkskundlichen
Kommission des Westfälischen Heimatbundes die Aufgabe, eine
Bestandsaufnahme des Brauchtums durchzuführen. Das konnte durch
Berichte der Augenzeugen oder auch durch Festhalten der
Erzählungen der älteren Generation geschehen. An den sogenannten
Lehrabenden trugen die Teilnehmer Sitte und Brauch im
Lebenslauf, im Arbeits- und Kirchenjahr zusammen. Zur Ergänzung
der theoretischen Ergebnisse sammelte man bäuerliches Gerät und
alten Hausrat. Die Sammlungen zeigten das Werkzeug für Saat und
Ernte, für die Leinenbearbeitung und das Spinnen. Auch
Gesteinsarten aus den geologischen Epochen des Heimatraumes
(Karbon, Kreide, Diluvium) fehlten nicht. Leider wurde die
Sammlung, einst in der Wohnung des Vereinsleiters untergebracht,
durch mehrere Umzüge u.a. in verschiedene Schulen, in ein
leerstehendes Fachwerkhaus und in das Amtshaus des ehemaligen
Amtes Recklinghausen in Oer stark ruiniert. Auf die
interessanten Details der Deelenbalken wies der Verein durch
Ausstellen einiger geretteter Holzbalken auf dem Dorfplatz hin.

Tony
Kollmann in der alten Heimatstube in Oer
Der
Heimatverein nahm sich schon früh der Pflege des Volkstanzes an.
Der im Jahre 1926 gegründete Volkstanzkreis Oer, der fast 40
Jahre intensiv arbeitete, pflegte alte westfälische und
niederdeutsche Tänze. Von den Anfängen unter Leitung von Josef
Ridder bis zum Ende der Arbeit in den 60er Jahren umrahmte der
Tanzkreis die Veranstaltungen des Heimatvereins, die
Aufführungen der Plattdeutschen Bühne Recklinghausen und nahm an
zahlreichen internationalen Volkstanztreffen teil. Die Pflege
der plattdeutschen Sprache gehörte selbstverständlich zu den
Aufgaben des Heimatvereines. An jedem Heimatabend oder Dorftag
erlebte man Vorträge in plattdeutscher Sprache oder
Theaterstücke der klassischen Mundartdichter wie Wibbelt und
Wagenfeld. Wiederholt trug Wilm Böckenholt, der exzellente
Rezitator und Interpret, Ernstes und Heiteres in Niederdeutsch
vor. Die Lesestube des Vereins bot zahlreiches Buchmaterial an,
so daß jedem Interessierten ein umfassender Einblick in die
Heimatliteratur geboten werden konnte.
2. Entwicklungen
Bei aller Traditionspflege und neben
der Bewahrung alten Kulturgutes hatte der Heimatverein
Entwicklungen beobachtet, darauf reagiert und solche initiiert.
Von großer Bedeutung und Tragweite war der Einsatz des Vereins
für Orts- und Heimatkunde bei der kommunalen Neugliederung im
Jahre 1926. Aus dem zum Amt Recklinghausen gehörenden Dorf Oer,
der zur Landgemeinde Recklinghausen gehörenden Ortschaft
Erkenschwick und Rapen wurde die neue Gemeinde Oer-Erkenschwick.
Dem energischen und zähen Einsatz von Karl Kollmann war der
Erhalt des Namens OER im neuen Gemeindenamen "Oer-Erkenschwick"
zu verdanken. Es zeugt von historischem Denken, daß man den
kleineren Ort mit 1000jähriger Geschichte im Gemeindenamen
festschrieb. Infolge der neuen Situation hatte man im Jahre 1934
den Heimatverein, der sich als Verein für die Gemeinde
Oer-Erkenschwick verstand, entsprechend umbenannt.
Wenn Heimatvereine oft ihre Arbeit auf
Heimatgeschichte begrenzten, so setzte der Verein für Orts- und
Heimatkunde Oer-Erkenschwick neue Akzente im Verband der Vereine
für Orts- und Heimatkunde im Vest Recklinghausen und im
Westfälischen Heimatbund. Karl Wagenfeld, der Begründer des
Westfälischen Heimatbundes, zu dem Karl Kollmann enge Kontakte
und freundschaftliche Beziehungen unterhalten hatte, war ihm
Lehrmeister und Wegweiser: "Die Heimatarbeit darf nicht toten
und absterbenden Dingen, sondern muß dem lebendigen Menschen
dienen. Sie darf nicht rückwärts, sondern muß vorwärts gerichtet
sein." (1)

Gründer Karl Kollmann (1889 - 1966)
Nachruf Karl Kollmann
Diese Gedanken
griff Karl Kollmann für seine Heimatpflegearbeit auf und
entwickelte sie intensiv weiter. Schon im Jahre 1937 stellte der
Geschäftsführer des Westfälischen Heimatbundes anläßlich des
Tages für Denkmalpflege und Naturschutz die Heimatarbeit in Oer
als mustergültiges Arbeitsbeispiel heraus und würdigte die im
Sinne Karl Wagenfelds geleistete Arbeit. Karl Kollmann beschritt
konsequent den für richtig erkannten Weg der zielbewußten
Heimatpflege. Wer auf längere Zeit die neuen Heimatideen in
einer dörflichen Gemeinschaft durchsetzen und verankern wollte,
konnte, so hatte er richtig erkannt, nicht auf die
Schülergeneration und nicht auf die Jugend des Dorfes
verzichten. Real hieß das: "Jugendpflege auf heimatlicher
Grundlage betreiben." (2) Schließlich verlangte die
heimatpädagogische Arbeit den Einschluß auch der Erwachsenen,
also die Erwachsenenbildung. In der Praxis bedeutete das in Oer
die Gründung der Volkshochschule schon im Jahre 1920. Die
Verbindung von Schule, Heimatverein und Volkshochschule, zudem
in der Hand einer Person, und damit die Verzahnung der
Generationen, die Tatkraft eines befähigten Pädagogen und die
Liebe zur Heimat dürften Garanten für eine erfolgreiche Arbeit
gewesen sein.
Was an neuen Entwicklungen durch den
Heimatverein in Gang gesetzt wurde, mag kurz dargestellt werden;
es ging dabei um die Vermittlung von Heimaterleben. Da sind die
Dorfabende (gelegentlich wurden sie in Erkenschwick
durchgeführt, z.B. 1939 und 1951) und die Dorftage zu nennen.
Veranstaltungen zur Förderung des Heimaterlebens durch Musik und
Lied, durch Theateraufführungen, auch Freilichtspiele, durch
Dichterlesungen in plattdeutscher Sprache und durch die
Vorführung alter Bauern- und Volkstänze. Mit Verlosungen von
Produkten aus Westfälischen Landen (u.a. Töpferwaren, Brot- und
Wurstwaren, Glasgegenstände) und durch Angebot von ausgestellter
Heimatliteratur wurde für die Heimat und für gutes Gebrauchsgut
geworben. Für eine Altertumsausstellung trugen die Bewohner 300
Objekte aus ihren Häusern zusammen. (3) Für Karl Kollmann sollte
das die "Grundlage zum Dorfmuseum" (4) sein.
Wettbewerbe zur Dorfgestaltung unter
dem Motto "Unser Dorf soll schöner werden",
Blumenschmuckwettbewerbe und Entrümpelungsaktionen im Kampf
gegen die Verschandelung des Dorfes durch übertriebene Reklame
förderten das Engagement der Dorfbewohner. Der Verein gab einen
Haardkalender "zum Zwecke der Liebe und Wertschätzung der Haard,
der Lunge des Industriegebietes" (5) heraus. Schon früh setzten
die Bemühungen um mehr Grün im Dorf und der Kampf für den Erhalt
von Wallhecken und Einzelbäumen in der Landschaft ein.
Die
Erwerbslosen am Ende der 20er Jahre bastelten Nistkästen und
Futterhäuschen und leisteten schon damals ihren Beitrag für den
Naturschutz. Das Bewußtsein, eine "Dorffamilie" (5) zu sein und
"die Pflege des Dorflebens" (5) sollten der erleuchtete
Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz, Konzerte im Freien zur
Weihnachtszeit und regelmäßige Dorfkonzerte im Sommer (6)
fördern. Adventsbrauchtum (Kranz mit Kerzen und Adventsspiele)
wurde über die Schule und den Verein ins Dorf hineingebracht.
Krippenausstellungen dienten der Pflege religiösen Brauchtums,
aber nach dem Bericht des Heimatvereins von 1931 stand hierbei
auch die Idee Pate, den Arbeitslosen in ihrer schwierigen Lage
"eine kleine Ablenkung" (7) zu verschaffen. Mit der
wirtschaftlichen Notlage wurde die Durchführung der
Spielzeugbastelkurse für jugendliche Erwerbslose begründet. Die
handgefertigten Arbeiten zeigten sie in einer
Spielzeugausstellung (1931). Nach dem Zweiten Weltkrieg
bastelten Jugendliche und Schüler Weihnachtsgeschenke für die
Kinder der Ostvertriebenen. Nach der Stillegung der heimatlichen
Schachtanlage Ewald Fortsetzung (1929) machte der Heimatverein
Vortragsangebote vor allem für die erwerbslose Bevölkerung. Mehr
als 100 Personen nahmen an jedem der "Unterhaltungsabende" (7)
in einem Klassenraum der Oerer Schule teil, an denen mit
Lichtbildervorträgen Wissen vermittelt und gemeinsam Gelesenes
diskutiert wurde.
Die Federführung zur Gründung eines
"Notwerkes für die (erwerbslose) Jugend" (8) im Jahre 1931 lag
in Verbindung mit dem Junggesellenverein und der DJK (Deutsche
Jugendkraft) in den Händen des Vereins für Orts- und
Heimatkunde. Jung und alt erlebten erstmalig in Oer in
Verbindung mit der traditionellen Bartholomäus-Kirmes (24.08.)
das künstlerische Kasperlespiel mit Handpuppen und bedeutende
Aufführungen bekannter Marionettenbühnen. Zur Verbreitung der
Idee der Heimatarbeit als Dienst am Menschen leistete der
Vorsitzende viel. Durch eine umfangreiche Vortragstätigkeit vor
Jugendlichen und Erwachsenen in der Jugendherberge Oer, durch
Vorträge innerhalb der Lehrerfortbildung in den Nachbarstädten
und schließlich durch die Darstellung der Idee "Heimatkunde und
Heimatpflege in Schule und Dorf" (9) an der Pädagogischen
Hochschule Dortmund erfuhr das Gedankengut der Heimatpflege
weite und gründliche Verbreitung.
Der Verein für Orts- und Heimatkunde
zeigte wiederholt Bereitschaft, neue Gegebenheiten in seine
Arbeit einzubeziehen. Im Zweiten Weltkrieg knüpfte er zu allen,
die durch den Kriegsdienst aus dem Dorfverband herausgezogen
waren, mit Briefen aus der Heimat Kontakte. Große Verdienste um
die regelmäßig wiederkehrenden Briefaktionen in "Oerschem Platt"
hat sich das Vorstandsmitglied Joseph Vagedes erworben.
Zahlreiche schriftliche Rückmeldungen zeugten von der
Wichtigkeit und Beliebtheit der Heimatbriefe. Die
Chronistentätigkeit wurde auch im Zweiten Weltkrieg mit der
Registrierung aller besonderen Ereignisse und der Flugangriffe
auf Oer fortgesetzt. Diese "Kriegschronik" liegt heute im
Heimatarchiv der Stadt Oer-Erkenschwick.
3. Information
Der Heimatverein ging schon früh von
der Erkenntnis aus, daß Informationen über die Heimat und deren
Verbreitung wichtige Bestandteile der Arbeit sein müssen. So
drang man in die Tiefen der Vergangenheit ein, wurde fündig und
hob die Ereignisse früherer Zeiten ins Bewußtsein der
Bevölkerung. Zwei Umstände kamen dem Vorhaben entgegen: das
Vorhandensein einer Chronik des schreibfreudigen Pfarrers von
Oer JOHAN JACOBUS SCHMITZ (1760 - 1796) und die Existenz einer
Burg der Familie VON OER.
Durch die Chronik konnte die
Bevölkerung in Veröffentlichungen über die Belastungen im
7jährigen Krieg, über Brände im Dorf (1936 wurde am 28.7. der
Brandtag von 1776 feierlich begangen) und über die Probleme der
gemeinsamen Haardnutzung erfahren. Intensiver beschäftigten sich
die Teilnehmer an den Lehrabenden, die über Jahrzehnte hindurch
mehrere Monate im Winterhalbjahr stattfanden, mit der Geschichte
ihres Dorfes.
U.a. lernten sie die Bestandsaufnahme
der Bevölkerung von Oer, Alt-Oer, Siepen, Sinsen, Essel,
Erkenschwick und Rapen aus dem Jahre 1761 kennen. An den
Lehrabenden beschäftigte man sich seit 1935 mit Ergebnissen der
Dissertation von Joseph Menke über "Die Geschichte des
Reichshofes Oer von seinen Anfängen bis zur Bauernbefreiung"
(10) und mit den Arbeiten von Dr. Pennings über die Familie von
Oer (Vortrag 1925 in Oer). Seit den 50er Jahren leistete man
vorwiegend volkskundliche Arbeit und unterstützte die Vorhaben
der Volkskundlichen Kommission des Westfälischen Heimatbundes.
Mit Hilfe der damals 70- und 80jährigen konnte die Situation des
Kirchspiels Oer vor dem Einzug der Industrie (11) erarbeitet und
mit Bildmaterial belegt werden. Dem zähen Einsatz des
Vereinsvorsitzenden war es zu verdanken, daß das Wissen um die
Herren von Oer nicht nur theoretisches blieb, sondern durch
Ausgrabungstätigkeit praktisch bestätigt werden konnte. Nach
einem ersten Ausgrabungsversuch in den 20er Jahren in den Wiesen
des Bauern Schulte-Oer südlich des Kaninchenberges stieß Karl
Brandt, Museumsdirektor in Herne, im Jahre 1964 auf die
Fundamente der Burg Oer und auf Gräftenaufschüttungen. (12)
Die aus
finanziellen Gründen begrenzte Probegrabung (eine letzte
erfolgte 1984) belegte die Existenz einer frühen Burg wohl aus
dem 12ten Jahrhundert und eine Burg aus der Zeit um 1500, wie
Brandschichten mit Ziegelresten zeigten.
Das vielfältige Informationsangebot
berücksichtigte die Geologie, da Erdaufbau und Boden
Existenzgrundlagen für den Bergmann und den Bauern darstellen;
andere Themen behandelten philosophische, biologische,
rechtliche und volkswirtschaftliche Fragestellungen. Ohne auf
Einzelheiten einzugehen, läßt sich das Angebot an Themen in
einen Spannungsbogen zwischen Tradition und Fortschritt,
zwischen Heimat und Welt, zwischen nah und fern und schließlich
zwischen Historie und aktueller Problematik einordnen.
4. Fahrten und Wanderungen
Mit der Gründung der Gemeinde
Oer-Erkenschwick im Jahre 1926 lag der Gedanke nah, daß die
Bürger den neuen Grenzverlauf der Gemeinde kennenlernen sollten.
Der Heimatverein übernahm den mittelalterlichen Brauch der
Schnadgänge (Grenzgänge) aus Brilon und praktizierte ihn zum
ersten Mal im Jahre 1926. Musik und ein Reiterzug begleiteten
die 100 Teilnehmer auf ihrem Grenzgang. An gemeinsamen
Grenzverläufen pflegte man gute Nachbarschaft. Den Abschluß
bildete der gemeinsame Umtrunk, der sog. Grenztrunk.
Seitdem hat
man die Schnadgänge regelmäßig durchgeführt, aber jeweils in
einem Jahr nur ein Viertel der Grenze abgeschritten. Genau in
das Ideenkonzept des Heimatvereines paßten die Burgenfahrten,
die seit den 20er Jahren durchgeführt wurden. Durch die
historisch orientierten Fahrten ließ sich der Interessenhorizont
über das Dorf hinaus erweitern. In der Nähe besuchte man u.a.
die Anlagen von Haus Niering, Schloß Herten, Schloß Westerholt,
Haus Bladenhorst und Haus Beck, von dem erweiterten Zielangebot
seien nur Burg Vischering, Schloß Cappenberg, Schloß Nordkirchen
und Schloß Gemen für viele genannt. Eine besondere Erwähnung
verdiente der Besuch des Hauses Egelborg bei Legden, weil man
mit der Fahrt zum heutigen Sitz des Freiherrn von Oer
Historisches in Erinnerung bringen konnte.
Der Verein für Orts- und Heimatkunde
Oer-Erkenschwick - heute. Es erhebt sich nach 70 Jahren die
Frage, wie weit hat die Schubkraft, die Karl Kollmann und seine
treuen, unermüdlichen Mitarbeiter dem Verein für Orts- und
Heimatkunde mit auf den Weg gegeben haben, gereicht? Wenn auch
mancher mit dem Abtreten der Gründergeneration (Karl Kollmann
starb am 4.12.1966) glaubte, das Werk werde langsam in
Bedeutungslosigkeit und Passivität versinken, so sieht die
Realität doch anders aus. Gewiß bleibt eine Jahrzehnte währende
Kulturarbeit nicht von Verschleißerscheinungen verschont, und
manches kann in einer veänderten Situation keinen Bestand und
keinen Sinn mehr haben. Doch nach 70 Jahren heimatpflegerischer
Arbeit in Oer-Erkenschwick, da man sich anschickt, des 100.
Geburtstages von Karl Kollmann zu gedenken, zeigt sich, was an
Ideen und Wirkkraft in die Zukunft hineingeflossen ist.
Die Schnadgänge werden wie eh und je
durchgeführt und erfreuen sich wie die Burgenfahrten größter
Beliebtheit. Die Grenzgänge erfüllen heute den aktuellen
Anspruch von Natur- und Gemeinschaftserlebnis. Die Burgenfahrten
steuern öfter Ziele über die Grenzen Westfalens hinaus an. Sie
haben nichts an sinnvoller Zielsetzung und Dynamik eingebüßt,
wenn z.B. mit der Fahrt in einen Braunkohlentagebau aktuelle
Probleme der Energiegewinnung, der Umsiedlung von Menschen und
der Rekultivierung der Landschaft erlebt und diskutiert werden.
Die Krippenausstellungen gehören zu den beliebten
Veranstaltungen. Wenn auch Krippenstall und Figuren wenig
Veränderung aufweisen, so liegen im wechselnden Teilnehmerkreis
unter Mitwirkung von Kindergarten und Schule Impulssetzungen.
Die
Dorfabende, einst Höhepunkte der Jahresarbeit, pflegen weiterhin
in besonderem Maße die plattdeutsche Dichtung und Sprache. Der
letzte Dorftag im Jahre 1986 glänzte durch seine
Volksfestatmossphäre, die durch das selbstlose Mitwirken vieler
und durch die Vorführungen bäuerlicher und handwerklicher
Tätigkeiten hervorgerufen werden konnte.
Auf den Spuren Oerer Geschichte geht
man weiter. Einige Mitglieder des Vereins arbeiten an der
Vervollständigung des Geschichtsbildes. Als ein Ergebnis des
historischen Bewußtseins ist die Planung eines "Heimatkundlichen
Lehrpfades" anzusehen, auf dem u.a. der Gerichtsstein auf dem
Hof Schulte-Oer, die Oerer Kirche (Turm gez. 1687), die Burg
Oer, der Römerbrunnen und das St.Johannes-Standbild in der Haard
aufgesucht werden. Die Idee des Vereinsmitgliedes Otto
Corzillius ist ein richtiger, zukunftsweisender Schritt. Die
Dorfbildpflege und Gestaltung des Dorfplatzes gehören zu den
aktuellen Aufgaben eines Heimatvereines. Er hält durch Setzen
eines Gedenksteines und die Benennung einer Straße an der Oerer
Kirche die Erinnerung an den Pfarrer Johan Jacobus Schmitz wach.
Für Senioren findet alljährlich eine Zusammenkunft statt mit
Bewirtung, Hinweisen zur Vereinsarbeit und mit jeweils einem
Lichtbildervortrag.
Wenn auch der Verein für Orts- und
Heimatkunde Oer-Erkenschwick vorwiegend aus dem dörflichen
Stadtteil Oer heraus arbeitete, so zeigt die Zusammensetzung der
Mitglieder eine Tendenz zur Integration von Oer und
Erkenschwick. Die Zukunft des Vereins für Orts- und Heimatkunde
sollte mehr mit der Entwicklung der Stadt Oer-Erkenschwick
einhergehen.
Anmerkungen
1. Wagenfeld, Karl: Dienst am
lebendigen Menschen, in: Münsterischer Anzeiger vom 1.9.1937,
Münster 1937
2. Kollmann, Karl: Jahresbericht
Ortsverein Oer, in: Vestische Zeitschrift (VZ), Bd. 33,
Recklinghausen 1926, S. 235
3. Kollmann, Karl: Jahresbericht
Ortsverein Oer, in: VZ, Bd. 34, Recklinghausen 1927, S. 431
4. Kollmann, Karl: Zum 10jährigen
Bestehen des Vereins für Orts- und Heimatkunde Oer, in: VZ, Bd.
38, Recklinghausen 1931, S. 34
5. Kollmann, Karl: Jahresbericht
Ortsverein Oer, in: VZ, Bd. 33, Recklinghausen 1926, S. 234
6. Kollmann, Karl: Jahresberichte
Ortsverein Oer, in: VZ, Bd. 34, Recklinghausen 1927, S. 411 und
VZ, Bd. 36, Recklinghausen 1929, S. 237
7. Kollmann, Karl: Jahresbericht
Ortsverein Oer, in: VZ, Bd. 39, Recklinghausen 1932, S. 182
8. Originalhandzettel im Besitz des
Verfassers, 1931
9. Kollmann, Karl: Jahresbericht
Ortsverein Oer, in: VZ, Bd. 51, Recklinghausen 1949, S. 155
10. Menke, Joseph: Die Geschichte des
Reichshofes Oer von seinen Anfängen bis zur Bauernbefreiung, in:
VZ, Bd. 43, Recklinghausen 1936
11. vgl. Kollmann, Hans Georg:
Brauchtum im Kirchspiel Oer, in: VZ, Bd. 60, Recklinghausen
1958, S. 69ff und in: VZ, Bd. 61, Recklinghausen 1959, S. 25ff
und in: VZ, Bd. 62, Recklinghausen 1960, S. 21ff
12. vgl. Brandt, Karl: Erdburg Oer -
Grabungsgeschichte, Herne 1964 (unveröffentlichtes Manuskript;
im Besitz des Verfassers)
Literaturliste
1. Vestische Zeitschrift (VZ), Bd. 33,
Recklinghausen 1926
2. VZ, Bd. 34, Recklinghausen 1927
3. VZ, Bd. 36, Recklinghausen 1929
4. VZ, Bd. 38, Recklinghausen 1931
5. VZ, Bd. 39, Recklinghausen 1932
6. VZ, Bd. 43, Recklinghausen 1936
7. VZ, Bd. 51, Recklinghausen 1949
8. VZ, Bd. 60, 61 u. 62,
Recklinghausen 1958, 1959 u. 1960
Der Artikel wurde der "Chronik der
Stadt Oer-Erkenschwick" entnommen. Er enthält gegenüber dem
Original zuätzlich hinzugefügte Bilder.
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